Marathon Nummer 58 – SINGAPORE MARATHON

30. November 2019

Zwar schon eine Weile her, aber dennoch wollte ich über diesen besonderen Marathon am 30. November 2019 berichten:
Singapur ist ja an und für sich schon ein Abenteuer, aber hier einen Marathon zu laufen kommt nicht gerade jedem in den Sinn. Mir ging das nicht anders, als ich meine Reise zu den SEA-Games als Trainer von Serena plante, selbst Marathon laufen stand eigentlich nicht auf dem Plan. Serena sah das anders und dachte, der Coach sollte wissen, wie sich 42.195 Kilometer bei den Bedingungen anfühlen. Also meldete sie mich zum Standard Chartered Singapore Marathon 2019 an.
Da ich von ihrem Vorhaben 2 Wochen vor dem Marathon nichts wusste, war ich natürlich auch nicht vorbereitet. Serena wusste es übrigens auch noch nicht und fand erst sehr kurzfristig heraus, dass der Marathon exakt in der Woche stattfand, in der ich sowieso in Singapur war.

Mit Daniel und seinen Freunden ging es zum Start – Serena fungierte als coach

32 Grad und 90% Luftfeuchtigkeit sind für viele Menschen schon nur zum bewegungslosen Dasein zu viel – in Singapur läuft man bei diesen Bedingungen die längste olympische Distanz. Mit Daniel, einem Lauffreund von Serena, und zwei weiteren Freunden gehe ich in Richtung Startareal. Total nett, dass ich die Jungs begleiten darf, so muss ich mich nicht gross orientieren und kann alles genau unter die Lupe nehmen. Schwere schwarze Wolken hängen hinter der Skyline und man vernimmt ein Donnergrollen. Was bei uns eher bedrohlich wirkt, lässt die Läuferschar hier hoffen, ein abkühlender Regenguss wäre durchaus willkommen. Ich selbst bin mir nicht so sicher, ob das wirklich gut wäre.

Bislang fand „the Standard“, wie man den Stadtmarathon hier auch zuweilen nennt, immer am frühen Morgen statt, den Temperaturen wegen. Da man aber in die oberste Liga der Welt aufsteigen möchte, benötigt man Zuschauer, und die erhofft man sich durch eine Austragung am Abend. Zu Ungunsten der Teilnehmer, meine Freunde sind alle wenig begeistert. Ich denke da eher an die tolle Stimmung, in die Nacht hinein zu laufen, gerade in einer solchen Weltstadt, ich sollte damit Recht behalten.
Die Organisation des Marathons stellt sich als perfekt heraus, nie habe ich eine Bessere erlebt. Das ist eine sehr hohe Messlatte für alle anderen Veranstalter! Das war schon auf der Marathonmesse beim Nummernabholen so. Und die zahlreichen Helfer: Alle mega freundlich und meist am Lachen, toll! Selbst bei den WCs gibt es keinen Stau, es sind so viele vorhanden, dass immer mehrere unbesetzt sind, wow! Das Startareal ist der Start-Zielbereich des Formel-1-Grand-Prix, für einen Marathon ebenfalls perfekt geeignet. Serena hat mich in den ersten Startblock gemeldet, das ist dort, wo auch die Afrikaner starten, einige von ihnen machen sich bereits warm.
Was mich direkt erstaunt: Man kennt mich in Singapurer Läuferkreisen! „Hey, you are the coach from Serena“, bekomme ich des Öfteren mit einem Lachen zu hören. Ich werde direkt in die Läuferfamilie aufgenommen und erste Fotos werden zusammen gemacht. Ich fühle mich von Beginn an wie zu Hause.

Dunkle Gewitterwolken hängen bis kurz nach dem Start über der City

Irgendwie ist hier alles wesentlich stressfreier, keiner drängelt, keiner schubst. Auch nicht während oder nach dem Start! Lieber lässt man den anderen vor, als ihn auszubremsen. Und so war es für mich der stressfreieste Start zu einem Marathon ever. Obwohl ich im ersten Block startete verlief alles völlig easy.

Was man gleich mal zu spüren bekam: Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit. Man schwitzte bereits nach 500 Metern. Gut, überraschend war das nicht, was mich allerdings ein wenig erstaunte: Es ging gleich mal leicht bergauf, nicht lange, aber doch spürbar. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber es war toll auf diesen grossen Strassen durch die Stadt zu laufen, da kam Gänsehautfeeling auf. Marina Bay Sand, dieses unvorstellbare Hotel, tauchte auf der linken Seite auf, obwohl ich es ja schon kannte, erneut grosses Staunen. Die Wow-Momente sollten auch so schnell nicht nachlassen, dafür sorgte die Strecke. Man hat hier den Marathon nicht einfach auf kleine Nebenstrassen gelegt, nein, wir liefen mitten auf den grossen Roads der Innenstadt. Und nicht nur auf einer Fahrspur, wie man das von manch anderen Stadtmarathons kennt, nein, hier gehörte den Läufern die ganze Fahrbahn.

Die Laufstrecke bietet viele Wow-Momente

Bei km 5 erblicke ich Serena und halte kurz an. Ihre Freundin ist erstaunt, ich würde doch Zeit verlieren. Lachend erkläre ich ihr, dass dies nur ein Spasslauf für mich wäre, ohne auf die Uhr zu schauen. Das sollte sich schon ganz bald ändern, denn ich spürte eine Müdigkeit im Körper, die Beine fühlten sich bereits schwach an, das machte mir Sorgen.

Auf einer Autobahnüberführung geht es nun etwas aus der Innenstadt heraus, bei Kilometer 12.5 wendet man wieder und zurück geht es in Richtung Marina Bay. Trotz Autobahn war die Umgebung sehenswert, schon alleine der Sonnenuntergang machte diese Kilometer zu einem Erlebnis. Die dicken Gewitterwolken hatten sich mittlerweile verzogen und die Sonne schien noch einmal zum Abschied des Tages rot auf die riesige City. Sogar eine Seilbahn verläuft über die Autobahn, sie verbindet die Halbinsel Sentosa mit der Stadt.
Immer wieder halte ich zum Fotografieren an und beim Anlaufen spüre ich deutlich, das wird hier kein Spass mehr, und das bereits bei Kilometer 15! Meine ersten Gedanken: Ich muss ja nicht finishen, Serena wartet bei km 20, das reicht doch. Nein, das geht nicht, ich habe noch nie bei meinen 57 vergangenen Marathons aufgegeben. Und zudem kann ich Serena nicht mit einem solchen negativen Erlebnis zu den SEA-Games reisen lassen. Also laufe ich fortan für sie, das motiviert.
Als ich km 20 und damit Serena erreiche sieht sie mir sofort an, was gebacken ist. „Come Rainer, you can go out, if you want, thats no problem“. Für mich war es ein Problem und so geht es weiter. Von nun an beginnt die grosse Schleife durch den Gardens by the bay und mit ihr mein gröbstes Marathonleiden. Nie musste ich mir darüber Gedanken machen, einen Marathon überhaupt zu finishen, dieses Mal war ich mir nicht sicher, ob mir das überhaupt gelingen würde. Als Marathontrainer aber eine gute Erfahrung, dies auch mal zu spüren, dachte ich positiv.
Mein Lauftempo war mittlerweile deutlich langsamer geworden, während die Pace auf den ersten 15 Kilometern noch deutlich unter 5 Minuten pro Kilometer lag, war sie jetzt nur noch 5:40, und es sollte noch schlimmer kommen! Überholen taten trotzdem nur ganz Wenige, das erstaunte mich schon, ich selbst überholte sogar noch. Bei Kilometer 25 dann zum ersten Mal gehen, nur wenige Meter, es sollten nicht die Letzten sein.
Die Strecke war allerdings sehenswert! Obwohl es mittlerweile stockdunkel geworden war, kam man aus dem Staunen nicht heraus. Dafür sorgte die beleuchtete Skyline von Singapur, die sich zusätzlich im Wasser der Marina Bay spiegelte. Sensationell!

Der Abend bescherte uns einen tollen Sonnenuntergang

Ebenfalls sensationell: Die Verpflegungsstellen. Alle 2.5km stehen Tischreihen mit genügend Getränken und aufmunternden Helfern am Streckenrand. Oft gibt es sogar kaltes Wasser, eine Wohltat. An jeder sollte ich von nun an anhalten und ein paar Meter gehen, ich schleppte mich also von Verpflegung zu Verpflegung.
Von der City her tönt „Where the streets have no name“ von U2, dermassen gut gespielt, dass ich meinen Nebenmann darauf aufmerksam mache: „What a great coverband!“.
Seine Antwort ist knapp: „Thats not a coverband, thats U2, there’s the concert today!“. Wow, das habe ich auch noch nicht gehabt, von U2 themselve beim Marathon beschallt zu werden. Und dass noch am schönsten Punkt der Strecke mit dem unbeschreiblichen Blick auf die Skyline von Singapur! Wenn es nicht über 30 Grad wären, hätte es für die Gänsehaut gereicht.

Es ging in einen harten und langen Samstagabend

Bei km 36 steht Serena nochmals überraschend an der Strecke, hält mir eine eiskalte Flasche Wasser hin. Sie muss ein Engel sein, dachte ich mir, und ich schon auf dem Weg in den Himmel. Gestorben war ich sicher schon, mehrmals, am Leben konnte ich also gar nicht mehr sein. Das kalte Wasser und die aufmunternden Worte von Serena erwecken mich aber noch einmal kurz zum Leben. Die Pace für die nächsten 5km sagt alles: 6:48! Ok, es ging an Marina Bay Sand vorbei über die Benjamin Sheares Bridge, das bedeutete eine saftige Steigung, aber dennoch, es ging ja auch wieder runter. Sehr viele hingen am Strassenrand, noch fertiger als ich und immer noch überholte ich Leute, einige natürlich auch mich.

Eine letzte Schlaufe am Flyer, dem Riesenrad von Singapur, vorbei und entlang der Raffles Avenue in Richtung Ziel. Die letzten 2 Kilometer ziehen sich dermassen! Immerhin laufe ich sie wenigstens noch unter 6 Minuten pro Kilometer, was mir allerdings auch reichlich egal war, ich sehnte nur die Ziellinie herbei! Sie sollte kommen, nach 3:52:44 Stunden war die Quälerei zu Ende! Was ich später feststellen sollte: Bei km 20 war ich 224. im Gesamt, im Ziel dann 240. Es hatten mich nur mal 16 Leute auf der harten Hälfte überholt! Den meisten ging es nicht anderes als mir. Sehr erstaunlich!
Aber ein mega Erlebnis war es, der Marathon ist super organisiert, die Strecke sehenswert und die Menschen unglaublich symphatisch! Bei der Shirtausgabe zollt man jedem Respekt und es wird von den Helfern applaudiert, das hab ich noch nie erlebt, grossartig!
Als ich zum Treffpunkt humple, kommt mir jemand mit einer Bierdose entgegen. Ich frage ihn sofort, wo man das bekäme. Er antwortet: “Das hat man vorne nach dem Zieleinlauf bekommen, wenn man wollte.“ Mist, das muss ich verpasst haben. Als er mein enttäuschtes Gesicht sieht, bietet er mir sein Bier an und besteht darauf, dass ich es als Geschenk annehme. Ich musste fast heulen. Die Menschen in Singapur sind einfach der Hammer.
Kurz darauf kommt ein fremder Läufer zu mir: “Serena is waiting for you at Sector B“. Ich kannte ihn nicht, er mich aber scheinbar schon.
Abgeschlossen wurde mein härtester Marathon in meiner Laufkarriere in einer nahen Pizzeria mit Serena und Derek. Skeptisch erwartete ich den Italofladen, sehr gespannt, wie der wohl hier in Singapur schmecken würde. Er war fantastisch, das Bier dazu auch!
Danke an Serena und Asics Singapur für das tolle aber sehr harte Erlebnis, und Derek, dass er uns gut nach Hause gebracht hatte.
Abschliessend noch zur Frage:“Ist der Singapur Marathon zu empfehlen?“: Auf jeden Fall, ein unvergesslicher Marathon! Alleine die Menschen in Singapur sind schon den Start wert. Aber man sollte die enorme Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit auf dem Plan haben und auf jeden Fall langsam starten.