Sydney Marathon 2006

17. September 2006
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FRÜHSTART

In Australien ist so Manches anders, als bei uns in Europa, so natürlich auch beim Marathon. Klar, 42.195 km sind es dort auch und sogar in Kilometern ausgeschildert und nicht in Meilen, das erstaunte mich. Aber dann die Startzeit: 7:00 Uhr am Morgen, das bedeutete Aufstehen um 4:00 Uhr! Als hätte ich nicht schon genug mit der Zeitumstellung zu kämpfen gehabt. Und so schlief ich in der Nacht vor dem Marathon so gut wie überhaupt nicht. Der kurze Lauf am Tag zuvor verlief auch nicht gerade verheissungsvoll, die Beine waren schwer und ich fühlte mich schlapp und träge. Ob das mal gut geht, dachte ich.

Der Ausblick aus dem Zimmer am Marathonmorgen war gigantisch

IN SYDNEY IS NOTHING FLAT

Als ich mit der S-Bahn über die Harbour-Bridge fuhr, wurde mir ein Grund klar, warum der Start bereits um 7 Uhr war, die Sonne kam bereits heraus und es sollte ein herrlicher Tag werden, mit strahlend blauem Himmel. Was für uns Läufer wichtiger war: Es waren bis 25 Grad vorausgesagt, für Sydney sehr warm, denn es war ja Frühling dort. Was mir allerdings am meisten Sorgen machte, dass war das Höhenprofil des Marathons, denn das war nirgendwo ersichtlich und auch bei der Anmeldung konnte man Niemanden finden, der das genau kannte. Ein Läufer bekam meine Fragen mit und machte mich auf einen Anstieg bei Kilometer 40 aufmerksam. Den hatte ich mir daraufhin vor Ort angeschaut, und das war gut so! Fast 120 Höhenmeter waren mit dem steilen Anstieg von Davespoint auf Meershöhe bis zum Observatorium zu absolvieren. Und der Rest? Da konnte mir Niemand so recht helfen. Einzig zwei charmante junge Damen in einer Bar gaben mir eine Auskunft: “In Sydney, there is nothing flat!”. Sie sollten Recht haben.

START IM ERSTEN BLOCK

Für mich war es der erste Marathon ausserhalb Europas, aber nicht nur das war eine Novität, zum ersten Mal hatte ich einen Elite-Startplatz bekommen. Dadurch hatte ich einen eigenen Betreuer, den ich aber nicht nutzte, und natürlich eine kleine Startnummer: 20! Während die normalen Läufer mit 4-5 stelligen Zahlen herumliefen, war meine Startnummer schön klein und anders gefärbt. Erstmal ein schönes Gefühl, denn alle schauten einen bewundernd an, und wenn man denn noch exra aus Europa angereist kam, dann musste ich wohl zu den ganz Schnellen gehören, dachten die wohl. Aber es machte mir auch etwas Angst, konnte ich der Nummer überhaupt gerecht werden? Wenn ich den Platz erreiche, den meine Nummer anzeigte, also 20., dann wäre ich mehr als zufrieden, dachte ich mir damals.

Am Milsons Point angekommen konnte ich sogleich die weiteren angenehmen Punkte meiner Startnummer geniesssen, ich hatte Zutritt zum ersten Startblock. Der Bereich war für alle anderen Sportler gesperrt und es gab spezielle Toiletten nur für die Topläufer. Ein tolles Privileg, aber nicht nur das, wir waren auch die Einzigen, die sich im Bereich vor der Startlinie Einlaufen konnten. Ich nutzte die Gelegenheit, um den Jungs aus Afrika mal zuzuschauen, wie die sich so vor dem Marathon so aufwärmten. Sie machten es wie ich, beruhigend.

ENDLICH GING ES LOS

Der Start war für mich dann ein besonderes Erlebnis, ganz Vorne in der ersten Reihe eines grossen internationalen Marathons zu stehen, das war Gänsehautfeeling pur, aber natürlich auch Anspannung! Der Start verlief ganz gut und schon gleich war es nicht flach, denn es galt direkt auf die weltberühmte Harbourbridge hinaufzulaufen. Ein toller Moment, die ganze Brücke war nahezu leer! Am Ende des weltberühmten Bauwerks zählte ich mal durch, ich befand mich so um den 30. – 40. Rang, aber es war ja erst der Anfang, da machte ich mich mal nicht verrückt. Auf dem Cahill Expressway, einer Stadtautobahn, ging es über den Hafen und schliesslich in den Royal Botanic Garden zum ersten U-Turn. Von denen gab es in Sydney einige, der Vorteil: Man sieht wer vor und hinter einem läuft und kann die Abstände sehr gut kontrollieren. Der Park ist herrlich und ich hatte mich mit zwei Australieren angefreundet, die mich auf den nächsten Kilometern begleiteten: Adam Jordan aus Bateau Bay und Dan Philipps aus Mosman, zwei symphatische Mitstreiter.
Als wir wenig später meine mitgereisten Fans, Simone und Angelika, passieren, haben wir noch gut lachen. Die beiden waren extra früh wegen dem Marathon aufgestanden.

Bis zum Halbmarathon hatte ich Adam Jordan und Dan Philipps als Begleiter

KILOMETER 25 · DER SYDNEY MARATHON HATTE BEGONNEN

Die Strecke verlief nun durch diverse Vororte von Sydney und durch einen schönen Park. Hin und wieder konnte man noch die Blueline des Olympia-Marathons erkennen, der damals zum grössten Teil die gleiche Strecke nutzte, ein spezielles Gefühl, dort unterwegs zu sein. Einige U-Turns später hatte sich dann Einiges getan, es begann der eigentliche Marathon, denn Kilometer 25 war bereits passiert. Meine beiden Begleiter Dan und Adam mussten abreissen lassen, ich hatte das Tempo leicht forciert. Den ganzen Marathon lief ich übrigens, ohne gross auf die Uhr zu schauen, denn an den Kilometern konnte man sich nur bedingt orientieren, der Kurs war einfach zu wellig, kaum mal 1000 Meter am Stück waren richtig flach, hier war Körpergefühl gefragt. Als wir uns dem Financial District, dem Zentrum von Sydney, näherten, da war ich bereits kräftig am überholen und das machte richtig Spass. Hier war ein klein wenig was los, ansonsten war der ganze Marathon eher eine Veranstaltung ohne Zuschauer. Höllichst aufpassen musste man in den Kurven, sehr hohe Bordsteine und Kanaldeckel machten die Sache stellenweise zur Herausforderung. Mittlerweile war ich ganz alleine unterwegs und als ich auf der Darlin Harbour Flyover lief, einer Stadtautobahn mit mehreren Spuren, da kam ich mir schon ziemlich alleine und verlassen vor. Ich war mir damals gar nicht mehr sicher, ob ich mich noch auf dem richtigen Kurs befand, erst die nächste Verpflegungsstelle liess mich wissen, dass ich noch richtig war.

Viele Autobahnkilometer

10 KILOMETER AUTOBAHN BEI 25 GRAD OHNE SCHATTEN

Was nun begann, wäre für viele Marathonläufer wohl ein Alptraum: Eine fast 5 Kilometer lange Autobahn ging es vom Zentrum weg, dann folgte ein U-Turn und das gleiche wieder zurück, alles mit Auf und Ab und natürlich Sonne pur ohne jeden Schatten bei gut 25 Grad. Es roch nach heissem Asphalt und Zuschauer gab es hier natürlich keine. Schon verrückt, aber ich liebe das, wann kann man hier schon mal laufen.
Da ich mittlerweile bereits einige Läufer überholt hatte, war ich am U-Turn mal gespannt, auf welchem Platz ich zur Zeit unterwegs war. Da die Gerade ja ewig lang war, sollte ich vom Führenden an durchzählen können. Das funktionierte auch und ich war mehr als überrascht: Platz 8!
Ich wollte es gar nicht glauben und nach dem U-Turn auf dem City-West-Link folgte die andere Seite. Jetzt konnte ich kontrollieren, wie weit die Verfolger weg waren. Sehr weit, das überraschte mich erneut und es waren nur noch 9 Kilometer bis ins Ziel, da war ein Top10-Platz in greifbarer Nähe. Als Dan und Adam mich auf der gegenüberleiegenden Seite passierten riefen sie mir laut zu und feuerten mich an: “Good Job, Rainer, go!”. Die Jungs waren klasse!

DIE RAMPE ZUM OBSERVATORIUM

Als ich dann Darlin Harbour erreichte, da war ich heilfroh, denn die Kräfte waren mittlerweile geschwunden und das Laufen sehr hart geworden, endlich endete die Autobahn und es ging wieder durch den Finanzdistrict, zum Glück mal ganz flach. Noch 4 Kilometer, aber die wurden nochmals knüppelhart. Vor allem gab es da ja noch eine Sache, vor der ich besonders Respekt hatte: Der Anstieg bei Kilometer 40 zum Observatorium hoch!

Auf dem Cahill Express Way bei km 41 und beim Zieleinlauf an der Oper

Und der kam dann, einfach irgendwie hoch kommen, dachte ich, die Zeit spielt sowieso keine Rolle mehr. Es lief erstaunlich gut, das Bergauflaufen lockerte irgendwie die Beine wieder etwas und so erreichte ich das Observatorium doch noch besser als gedacht. Als ich anschliessend muttersseelenallein im Tunnel lief, da fragte man sich wirklich, was man hier denn eigentlich macht.

ALS ACHTER AM OPERA HOUSE · FÜR MICH EINE SENSATION

Aber dann kam der letzte Kilometer und man sah schon das Opera-House, das Ziel des Marathons, eine letzte kleine Schleife und es war geschafft! Platz 8 im Gesamt, es war unglaublich für mich. Dem 7., Francis Kamania Kanya aus Afrika, hatte ich auf der zweiten Hälfte sogar noch 4 Minuten abgeholt und zum 9. einen Vorsprung von 7:31 Minuten herausgelaufen, ich konnte mehr als zufrieden sein, war es aber erstmal nicht, denn was die Zeit betraf, hatte ich mir doch deutlich mehr vorgestellt. Aber ich musste natürlich realistisch sein, auf einem Kurs wie Sydney läuft man keine Bestzeit und schon gar nicht bei 25 Grad. Nach dem Zieleinlauf spürte ich dann ganz schnell, dass ich an die Grenzen gegangen war, der Magen machte plötzlich Probleme und es ging mir nicht sonderlich gut. Leider konnte ich daher meinen Elite-Status im Ziel nicht geniessen, denn es gab ein Früchtebuffet und ein eigenes Massagezelt. Erst zwei Stunden später wusste ich, was mir fehlte: Essen! Und gleich ging mir es besser und ich konnte mein erstes Bier auf den gelungenen Marathon geniessen und so langsam war ich auch mit der Leistung zufrieden, schliesslich waren nur 7 vor mir im Ziel und über 6000 hinter mir.

Erst ein paar Jahre später wurde mir klar, dass dieser Marathon der Beste gewesen ist, den ich je gelaufen bin.