Es ist Sonntagmorgen, 7:00 Uhr und ich befinde mich zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder Wolfgang auf dem Weg nach Saarbrücken zum zweiten Saarbrücken-Marathon. Er wird auch starten, möchte gerne unter 3:10 laufen. Der Arme hat sich gestern Abend noch beim Einlaufen im Wald brutal abgelegt und sich starke Schürfwunden zugezogen, hoffentlich behindert es ihn nicht beim Laufen.
Während der Fahrt auf der noch menschenleeren Autobahn gehen mir die Bilder vom vergangenen Jahr durch den Kopf, ein Traum ging für mich in Erfüllung, ich gewann mit riesigem Abstand die Premiere des ersten saarlän-dischen Stadtmarathon. Und dieses Jahr? Vor wenigen Wochen kam ich noch humpelnd mit einem gebrochenen Zeh nach Hause, geschockt, ein Start bei “meinem Marathon” war plötzlich arg in Frage gestellt. Dann die Behandlung mit Meditape durch Markus Heule in Olten und drei Wochen später war ich wieder am trainieren. Gerade noch so die Kurve bekommen, dachte ich, und nun doch noch einigermassen fit geworden. Ich war glückllich am Start zu sein und dass noch mit der Startnummer 1, irgendwie wollte ich das auch mal geniessen, egal was letztendlich dabei rauskommt. “Es wird schon deutlich wärmer” bemerkte Wolfgang, “14 Grad”. Eigentlich optimale Verhältnisse, aber sie hatten im Radio schwüle 25 Grad angesagt und bis zum Start waren es noch 2 Stunden. Nun doch ein paar Autos auf der Autobahn, unverkenn-bar hatten die Insassen das gleiche Ziel.
Ein buntes Treiben war bereits im Gange, als wir das Startgelände erreichten, zahlreiche Läufer waren bereits in kurzen Hosen und Trägershirts unterwegs, wohlbemerkt, es waren noch gut 1.5 Stunden bis zum Start. “Soll ich in kurz oder lang laufen” frägt mich ein junger Mann im Umkleidezelt, “Sorry, es ist mein erster Lauf”. “Auf jeden Fall kurz” erkläre ich ihm. Ganz schnell zeigte die Uhr 8:45, noch 15 Minuten bis zum Start. Bekannte Gesichter hatte ich bisher noch keine gesehen. Nervös ging ich in Richtung Startgerade, um mich noch ein paar Meter locker zu laufen. Werde ich starke Konkurrenz haben?Laufen gleich mal ein paar vorneweg? Ich scannte regelmässig die Läufer-gruppen ab, beobachtete ob sich ein möglicher Konkurrent zeigte. Eigentlich rechnete ich mit starken Läufern, es gab dieses mal Preisgeld und das zieht immer schnelle Marathonis an. Vor allem 2:30-er aus den Oststaaten nutzen die Gelegenheit gerne, um sich ein paar Euro zu verdienen. Frankreich ist nur 5 Minuten entfernt, auch dort gibt es sehr viele gute Läufer.
Nun waren es noch wenige Minuten bis zum Startschuss und ich tippelte nervös von einem Fuss auf den Anderen. Zum ersten Mal stand ich mit der Startnummer 1 unterhalb des Start-bogens, das ist eine neue Erfahrung. Die Nummer 1 hat der Favorit und alle Leute sprechen davon. Sogar beim Einlaufen hörte man von den Menschen Kommentare (da ist die 1, der hat das letzte Mal gewonnen). Spätestens als man an der Startlinie eintrifft und alle machen schön Platz, respektieren dass Du ganz Vorne stehst, kein Gemotze, keine Kommentare, spürt man die besondere Aura dieser Nummer. Und dann noch ein Interview, der Sprecher will etwas über die Taktik wissen, welche Zeit man sich vorge-nommen hat. Das ist wie im Film, unglaublich.
“Auf die Plätze, fertig”…. peng.
Die erste Runde
Ich laufe zuerst einmal los und versuche mein Tempo zu finden, jetzt nur nicht aus der Ruhe bringen lassen, auch nicht von den Läufern des Halbmarathons, der zeitgleich gestartet wurde, sie haben eine gelbe Startnummer mit 4 Ziffern. Vier Halbmarathonis ziehen schon gleich an mir vorbei und dann plötzlich ein Marathonläufer. Mist, dieses Mal sollte ich Konkurrenz haben, oder war es doch eine gelbe Nummer? Nein, sie war weiss, keine Frage. Der Konkurrent gibt gleich mal kräftigst Gas, ich muss ihn laufen lassen, no way. LV Landstuhl prangerte auf seinem Rücken, LV Landstuhl, denke ich mir, da kom-men einige schnelle Läufer her. Der erste Kilometer: 3:28, hoffnungslos zu schnell, ich muss die Bremse ziehen.
Bei Kilometer 5 hat sich der Mann aus Landstuhl bereits deutlich abgesetzt, ihm nur annähernd zu folgen steht ausser Frage, ich muss mein Tempo finden. Mittlerweile hatte sich der Radbegleiter von Bike Aid mit dem Schild “Zweiter Mann Marathon” zur mir gesellt. Die nächsten Kilometer sind immer noch viel zu fluffig, verdammt, alle unter 3:40. “Ich bin übrigens Martin” gibt mir der Mann auf dem Rad zu verstehen, “Du kannst gerne meine Trinkflasche benutzen, ich fülle sie Dir mit Wasser”. Super, denke ich mir, der Kerl ist in Ord-nung. Nach wenigen weiteren Kilometern habe ich mich mit meinem Velobegleiter vom Team Alpencross.com angefreundet. Wir haben uns kurz unterhalten, ich habe ein gutes Gefühl, für ihn gibt es vorerst noch nicht allzuviel zu tun, noch wird niemand überrundet.
Plötzlich sind wir schon zum ersten Mal an der Daaler Brücke angelangt, mit einer Schleife geht es auf dieser Fussgängerüber-führung auf die Startseite der Saar zurück. Zum ersten Mal sehe ich meinen Verfolger: Jörg Hoos, seines Zeichens frisch gebackener Deutscher Vizemeister im 100km-Lauf, Saarlandmeister im Marathon und Sieger des Saarschleifen-Marathons 2006. Sein Abstand zu mir ist noch nicht beruhigend, aber dennoch gut 400 Meter. Zum ersten Mal geht es nun in die “Fleischwurstkurve”, Fleischwurstkurve deshalb, weil Schlachthof und Wurstfabrik in dieser Wendeschlaufe ihr Zuhause haben. Es ist eine gute Möglichkeit, seinen direkten Konkurrenten in die Augen zu schauen. Am Ende der “Wurst” be-findet sich ein wirklich bemerkenswerter Verpflegungsposten mit toller Stimmung und einem entusiastischen Streckensprecher.
Fleischwurst, die man im Saarland Lyoner nennt und dort auch die absolute Nr.1 der Würste ist, gibt es an diesem Verpflegungspunkt übrigens auch. Dank dem Streckensprecher bekomme ich den Namen des Führenden genannt: Thomas Dehaut, Sieger des Pfälzer-Wald-Marathons. Mittlerweile betrug der Rückstand auf ihn schon fast eine Minute. Dehaut ist für mich kein Unbekannter, er läuft Zeiten zwischen 2:35 und 2:40 und gewinnt in der Pfalz einige Rennen, für mich war aber auch erkennbar, dass er sehr gewagt in die erste Runde gegangen war. Jetzt war spätestens klar, dass dieser Marathon nicht so leicht zu gewinnen war, als der im Jahr 2006. Das Wetter war mittlerweile recht schwül geworden, es war spürbar wenig Sauerstoff in der Luft, aber es war wenigstens bewölkt und windstill. “Möchtest Du noch Wasser” ruft Martin, ich nehme einen Schluck und zum ersten Mal geht es in die “Zuschauerschleife” durch die Altstadt und am Start/Ziel vorbei. Roman, der Zweite vom Vorjahr, läuft den Halben, ich überhole ihn, er kann nicht folgen, er war der Zweite beim 21er, hoffentlich hält er die Position, ein sympatischer Mitstreiter, ich würde es ihm gönnen. “Rainer bleib dran” ruft Denis Ivanov, der Veranstalter, er muss viel geleistet haben, in den letzten Wochen. “Eine 2:35 will Rainer laufen” tönt es aus den Lautsprechern, “da ist der Vorjahres-sieger gut auf Kurs, im letzten Jahr schaffte er den Marathon in 2:18!”, was? Hat der 20 Minuten verschluckt oder stecken die in den Waben des Mikrofons? Egal, ich bin immer noch zu schnell.
Die zweite Runde
“So Martin, jetzt bekommst Du bald was zu tun” rufe ich meinem “Team-kollegen” auf dem Rad zu und laufe zum zweiten Mal auf die Westspange. Die Brücke hat es in sich, gut 20 Meter Höhenunterschied sind zu bewältigen. Es geht noch ohne Probleme. Dehaut ist mittlerweile auf und davon. Ich bleibe meiner Taktik treu und forciere das Tempo nicht, im Gegenteil, ich reduziere sogar eher noch. “1:55” Die Zuschauer halten mich erstklassig auf dem neu-esten Stand. Zu Hoos habe ich zwischenzeitlich den Abstand ausgebaut, grundsätzlich war ich aber immer noch zu schnell unterwegs, die geplante 3:42 unterbiete ich immer noch um 1-2 Sekunden. Hoffentlich rächt sich das später mal nicht.
Die ersten Überrundungen stehen an, es ist eine junge Frau, sie klatscht Beifall und ruft mir aufmunternd zu. Beim zweiten Durchgang auf der Daaler Brücke erkenne ich, dass Dehaut, dieser zähe Kämpfer, bereits einen grossen Vor-sprung hat. “Der Rainer ist noch nicht so weit hinten, da ist noch nichts ent-schieden” tönt es in der Fleischwurstkurve. “Wenn der das da Vorne durchhält, dann hat er es verdient” rufe ich Martin zu, “aber das glaube ich nicht!”
“1:45” ruft mir Simone und mein Vater zu. Wie schnell wir an der Marathon-spitze unterwegs sind, macht der Zieleinlauf des Halben deutlich. Ich laufe direkt hinter dem Sieger über die Linie in die nächste Runde, wir hatten den Halbmarathon sozusagen komplett überholt, Thomas Dehaut liegt ja bereits deutlich über eine Minute vor dem Halbmarathonsieger. So ging es dann in die dritte Runde, es sollte eine Besondere werden, vielleicht die eindrücklichste meiner Laufkarriere.
Die dritte Runde
“1:25” schreit Jemand vom Strassenrand. Ich war am Aufholen. „Martin“ rufe ich meinem Velofahrer zu, „hast Du gehört, er verliert Zeit“. Ruhig, jetzt bloss nicht zu schnell, die beiden ersten Runden waren höllisch fix und das spüre ich jetzt schon, hoffentlich kommt jetzt kein Loch, das wäre das Aus. Die West-spange zum Dritten, die Steigung knabbert nun schon kräftiger an den Re-serven. Unter der Brücke läuft gerade der Dehaut durch, der Abstand war kleiner geworden, das war erkennbar. Aber vielleicht hat der ja nur ein kurzes Zwischenloch, es sind ja gerade mal 24 Kilometer vorbei.
Die Überrundungen werden nun deutlich brisanter, die Läufergruppen sind grösser geworden und stellenweise ist es sehr eng. Ich weiche hin und wieder auf das Gras aus. Martin pfeifft und ruft was das Zeug hergibt, er macht eine erstklassige Arbeit. Der Weg entlang der Saar ist nicht der Breiteste, da muss man voll konzentriert zur Sache gehen, neben den Beinen wird aber auch das Hirn allmählich müde, es wird nun immer schwerer. In einer leicht ge-schwungenen Kurve sehe ich noch einen Läufer mit gelb-weissem Shirt, schön, wenn das Dehaut wäre, dachte ich mir, es war Dehaut!“ Martin, schau mal, da vorne läuft er”, “Wann willst Du ihn angreifen”, erwidert Martin ganz ge-spannt, “Ich muss noch warten”. Die Zuschauer am Streckenrand haben mittlerweile auch durch die Streckensprecher mitbekommen, dass es spannend wird. „Rainer, den Pfälzer schnappst Du Dir, hopp Saarland, hall druff … “ Man muss wissen, dass Pfälzer und Saarländer ein ähnliches Verhältnis pfle-gen, wie Zürich und Basel, was sich liebt, das neckt sich, und obwohl ich für den LSV Basel laufe, bleibe ich Saarländer. Selbst die überrundeten Läufer-innen und Läufer drehen sich teilweise um und schreien: „Den hollscht Du, geb alles, Du siescht besser aus, gleich hascht en“. Das ist Gänsehautfeeling pur, ich liebe das Saarland!
Jetzt bloss nicht die Nerven verlieren und verhalten weiterlaufen, die Uhr beachtete ich mittlerweile gar nicht mehr, die Zeiten waren mir völlig egal geworden, ich schätze mal ich war so bei 3:45 – 3:50 unterwegs. Ich hatte Dehaut im Visier, ob er es weiss? “Der holt ihn gleich” ruft ein älterer Herr auf der Wiese. Die Fleischwurstkurve naht und mit ihr der Schlachthof, ob das ein Zeichen ist? ”Der Rainer ist dem Dehaut auf den Fersen, der hat ihn gleich, super!“ schallt es aus dem Lautsprecher. Wahnsinn. Nun war er vor mir, noch 20 Meter. Mein Radbegleiter pfeifft wie bekloppt mit der Trillerpfeife um die Strecke freizuhalten, das war Psychoterror pur, der Dehaut tat mir schon fast etwas leid, obwohl er ein verbissener Hund ist, der kann sich quälen wie kein Anderer und wenn es um den Sieg geht kennt der kein Pardon, der läuft einfach alles um, in Läuferkreisen ist er deshalb nicht der Beliebteste, ich komme allerdings gut mit ihm klar, finde ihn nicht un-sympatisch, der weiss halt, was er will.
“Wann greifst Du ihn an?” frägt Martin voller Spannung. “Ich warte noch etwas”., erwiderte ich. Nun geht es nochmals in Richtung Zu-schauerschleife, das ist der richtige Punkt, denke ich mir, direkt davor an Dehaut vorbei und dann gib ihm. Ich wartete, selbst ich spürte nun die Spannung. “Rainer, Du hascht en, super” schreit Jemand, ich kenne ihn nicht.
Kilometer 30 und dann sehe ich die Kurve in die Altstadt, los gehts, ich be-schleunige und laufe ungebremst an Dehaut vorbei, ich drehe mich nicht um, aber ich höre intensiv, ob er mir folgt. Das Geschrei ist unglaublich, die Zu-schauer sind begeistert. Ich laufe und halte das Tempo, es tut nun doch schon etwas weh, dann kommt die Altstadt. Plötzlich passiere ich Hans, den einzigen Mitstreiter vom LSVB, er hat mich sogar von der gegenüberliegenden Saar-seite beim Laufen angefeuert, es entging mir nicht, solche Sachen motivieren. Er ist begeistert und klopft mir auf die Schulter “Auf, Du schaffsts”. Hinein in die Fussgängerzone. “Der Vorjahressieger Rainer Hauch ist in Führung gegangen, der Thomas Dehaut kann nicht folgen” schallmeit es mir entgegen, ich bin voll konzentriert, jetzt ist der entscheidende Moment, jetzt nichts versemmeln, lauf, lauf, lauf. “Super Rainer” schreit Simone, “Gib Gummi” ruft mein jüngerer Bruder Michael.
Vierte und letzte Runde
Plötzlich wurde es ruhig, die Beine waren schon bedrohlich “leer” und wo war eigentlich Martin? Verdammt, der war ja Begleiter des Zweiten, klar musste der bei Dehaut bleiben. Mein neuer Radbegleiter hatte an der Verpflegung bereits Wasser gefasst und hielt mir zwei Plastikbecher hin. Trinken konnte ich nicht mehr, ich schüttete sie einfach über den Kopf. Zwischenzeitlich war es warm und stickig geworden und wenn sich die Sonne mal zeigte, brannte sie regelrecht. 35, noch verdamte 7 Kilometer bis zum Ziel, das war ganz schön weit, um zum Verlangsamen war es viel zu früh, keine Frage, jetzt zählt jeder Meter um den Abstand zu Dehaut und auch Hoos zu vergrössern, den Fuchs durfte ich nicht vergessen, der lauerte bereits knapp hinter dem Pfälzer auf Rang drei und roch seine Chance.
Noch einmal geht es über die Westspange, die Beine brennen, die Kraft hat deutlich nachgelassen, das zu hohe Anfangstempo macht sich jetzt eindeutig bemerkbar. Zum ersten Mal rieche ich die Abgase der Autos, pfui Teufel. Es geht wieder die Brücke hinunter, laufen lassen, bloss nicht trödeln, dann ein Blick auf die Brücke, wie weit ist der Landstuhler zurück? Weit, Gott sei Dank, das sind schon ein paar Meter. Jetzt zum letzten Mal die Gegengerade. Die Überrundungen fallen immer schwerer, sie ziehen sich hin. Noch 6km und die Beine sind erbarmungslos müde, die Lust am Laufen ist weg, erste Fragen kommen auf, schaffe ich das überhaupt?.
Der Dehaut ist ein Kämpfer, das wusste ich, ich hatte ihn beim Halbmarathon in Limbach im Ziel schon mal 1 Sekunde hinter mir, der hat am Schluss gebissen wie die bekannte Drecksau, mit dem muss man also immer rechnen. Und der Hoos ist auch ein alter Fuchs, der lässt keine Chance ungenutzt und als Ultra-Läufer ist der jetzt wohl kaum auf der Felge unterwegs. Der letzte Anstieg und dann die Fleischwurstkurve, Wahnsinn, was da los ist, der Sprecher gratuliert bereits: “Super Rainer, Gratulation zum grandiosen Sieg, toll gemacht”. Meiner Meinung war das noch etwas früh, das km-Schild zeigt die 39. Auf der Wende-schlaufe der Fleischwurstkurve bekomme ich die verfolger nicht mehr zu sehen, der Vorsprung war doch deutlich angewachsen. Sollte es tatsächlich wieder zum Sieg in Saarbrücken reichen? Was passiert noch auf den verbleibenden drei Kilometern? Hunde, Katzen, Mäuse, Elefanten?
Nun wird es sehr sehr hart, meine Kraft war wirklich völlig am Ende, eine Cola, jetzt eine Cola. Mein Radbegleiter fährt los und besorgt mir zwei Becher. Ich könnte die Jungs umarmen. Ich verfluche das hohe Anfangstempo, eigentlich müsste ich es ja wissen. Nochmals Überrundungen, das Ausweichen tut weh, die Beine und die Arme schmerzen. Plötzlich ist es wieder da, dieses Gefühl, dass man fast steht, man kommt sich plumb und träge vor.
Dann zum letzten Mal der Bogen in der Altstadt und da war es, das Schild mit der 41, der letzte Kilometer! “Keiner hinter Dir zu sehen, Du hast es ge-schafft” ruft mir der Mann von Bike-Aid zu. Zum ersten Mal spüre ich ein Lockern der Anspannung. Nun wird es gleich so weit sein, zum zweiten Mal laufe ich als Sieger des Saarbrücken-Marathons über die Ziellinie. All die Anspannung der letzten Tage und Wochen, in wenigen Sekunden wird sie von einem fallen, als wenn es sie nie gegeben hätte. Noch zwei Kurven, die Zuschauer stehen mittlerweile in Zweier/Dreierreihen hinter den Gittern. Zum ersten Mal strecke ich die Finger nach oben, noch etwas verhalten, es sind ja noch 200 Meter. Und dann ist sie da, die Zielgerade. Hunderte von Zu-schauern schreien, es ist unglaublich. Ich lege den Leergang rein und geniesse. Das ist der Moment von dem viele Läufer träumen, nur sehr wenige dürfen ihn erleben, ich sogar zum zweiten Mal und das mit der Startnummer 1. Und dann war sie da, die Ziellinie, alles schon vorbei, keine schmerzenden Beine mehr, keine Gedanken, einfach fallen lassen und warten was da kommt, das Tempo machen nun andere. Rundfunk, Fernsehen, Zeitung, Streckensprecher, Veranstalter, Sponsoren, Fotos hier, Scheckübergabe, Gratulationen, ich konnte es nicht fassen, es war wieder wie ein Traum.
Erst nach der Massage komme ich langsam wieder zu mir. Dehaut hatte ich fast 2 Minuten aufgebrummt. Einige Halbmarathonis kommen nach und nach zu mir „super, dass Du es ge-schafft hast und nicht der Dehaut“. Die Sekretärin vom Veranstalter, Beatrice, ich hatte sie kurz vor dem Start kennengelernt gratuliert mir und freut sich enorm, dass ich wieder der Erste bin. „Du bleibst unser Sieger“ sagt sie völlig aufgelöst. Plötzlich kam mir der Spruch von Thomas Tanner, unserem Sportlichen Leiter vom LSVB, in den Sinn: “Für eure Laufzeiten interessiert sich doch kein Schwein”, stimmt, die Zeit interessierte wirklich niemand. Eine Zeit interessierte mich dann doch noch: Mein Bruder absolvierte den Marathon in 3:10, damit konnte er sehr zufrieden sein, es war neue Bestzeit für ihn und damit war er unter den schnellsten 50.
Alle diese Erlebnisse sind unglaublich und auch noch zahlreiche Gespräche und Gratulationen und die Siegerehrung und und und ich könnte noch viel erzählen, es war der Wahnsinn. Eine Freundin rief aus München an, ihr Vater hatte es im Radio gehört, man muss sich das mal vorstellen. Als ich dann im Auto über die Grenze des Saarlandes in Richtung Basel fuhr, tat es zum ersten Mal weh, Heimweh nennt man das wohl, ein Gefühl, dass ich bisher nicht kannte.